Homo Magi und die Schleppnetzfischer

Ein heidnischer Krimi

Kapitel 4

Tricks

 

Es war wieder einmal an der Zeit, die Musik zu wechseln. „The Beatles“ sind immer eine echte musikalische Alternative. „Help!“ ist immer noch einer ihrer besten Werke – und das nicht nur wegen des völlig durchgeknallten, psychedelischen Films, den sie gedreht haben. Die Kultisten, die wild „Kaili!“ schreiend durch London rennen, erinnern mich immer wieder an Menschen aus meinem Bekanntenkreis.

Doch weiter im Bericht.

Der Morgen war anstrengend. Meine Beine taten von der Tanzerei schrecklich weh und meine Kehle war trocken. Ich trank als erstes zwei Glas Wasser, bevor ich das Gefühl los wurde, ich hätte versucht, ein Katzenklo auszulecken. Aber der Abend war ein Erfolg – auf meinem Nachttisch thronte der Zettel mit der Telefonnummer. Als erstes machte ich mir einen zweiten Zettel mit der Nummer und hängte ihn an meine Pinnwand in der Küche. Erst dann ging ich ins Bad, mich langsam rasieren. An diesem Morgen musste ich mich langsam rasieren, um die Verletzungsgefahr gering zu halten. Danach waren die Zähne dran. Ich stand gerade in der Dusche und wollte mir die Haare shampoonieren, als das Telefon klingelte. Manchmal denke ich, dass die Telekom in meinem Bad Spionaugen eingebaut hat, die das Telefon immer dann klingeln lassen, wenn ich überhaupt nicht beweglich bin. Trotzdem hastete mich mit feuchten Haaren voller Schaum zum Telefon.

„Acht!“

„Tschuldigung. Trix hier.“

Am frühen Morgen – das sprach völlig gegen ihre Aufstehgewohnheiten. Außerdem hatte ich ihr gesagt, dass sie nur bei mir zuhause anrufen soll, wenn etwas wichtiges vorgefallen ist.

„Ich muss mit ihnen reden.“

„Wann?“

„Möglichst sofort.“

„Du, ich bin gerade stark unterbekleidet und habe nasse Haare. Hast du schon gefrühstückt?“

„Nein.“

„In einer halben Stunde im ‚Rex’?“

„Okay.“

„Bis gleich.“

Ich überlegte. Heute war Samstag. Würde Elsbeth im Büro sein? Wahrscheinlich nicht. Auf der anderen Seite: Wir hatten einen Klienten. Es käme auf einen Versuch an. Ich wählte gleich noch einmal, dieses Mal die Nummer meines Büros. Sie meldete sich – langweilte sie sich eigentlich daheim? [Nein! E.] Ich teilte ihr mit, dass es später werden würde. Sie klang verständnisvoll und führte mein spätes Aufstehen wahrscheinlich auf den gestrigen Abend zurück – dass dem nicht so war, konnte ich ihr immer noch bei Gelegenheit mitteilen.

Ich säuberte das Handteil meines Telefons vom Shampoo, dann sprang ich in die Dusche und wusch mich. Abtrocknen, kämmen, Deostift, Rasierwasser – das alles war in wenigen Augenblicken erledigt. Dann suchte ich mir frische Kleidung und machte mich auf den Weg zum „Rex“. Die Klamotten von gestern landeten in einem Stapel dreckiger Wäsche. Am Morgen nach einem Disco-Besuch riechen Klamotten immer nach einer eigenartigen Mischung von Schweiß und Zigaretten, der sich absolut nicht dazu eignet, in den Sachen arbeiten zu gehen. Als ich schon in den neuen Klamotten steckte und fast aus der Wohnung war, eilte ich zum Wäschestapel zurück. Ich hatte den Zettel in der Hosentasche vergessen!

Situationen wie diese waren der Grund, warum ich von solchen Zetteln Kopien machte.

***

Wenige Minuten später hatte ich das „Rex“ erreicht.

Früher war der Schuppen ein Programmkino gewesen. Wobei es sich bei dem Wort „Programmkino“ um ein Synonym für „Pornokino“ handelte. Das waren insgesamt drei Kinos gewesen, die im selben Komplex lagen. Das „Luxor“ hatte sich auf Actionfilme spezialisiert. Im „Metropol“ gab es solche Dinge wie eine Filmwoche mit alten Chabrol-Filmen oder allen „Sissy“- beziehungsweise „Dick & Doof“-Filmen. Zum Teil habe ich mir die Sachen wirklich komplett angetan, zum Teil bin ich wochenlang nicht in diesem Kino erschienen. Das hing auch immer stark vom Geschmack des momentanen Geschäftsführers ab.

Das „Rex“ war das Pornokino – und ich bin mir bis heute nicht sicher, ob „Metropol“ und „Luxor“ nicht nur vorhanden waren, damit die Kunden des „Rex“ in aller Ruhe dahinschlendern konnten. Wenn man jemanden unterwegs traf, der einen von der Seite schräg anguckte, konnte man immer noch sagen: „Oh Peter, schön Dich zu treffen. Willst du auch zu dem Abend mit malayischen Kurzfilmen?“ Pech war nur, wenn jener Peter wirklich in die malayischen Kurzfilme wollte – oder auch ins Pornokino.

Nun, ich bin einmal im Rahmen einer Science Fiction-Reihe im Foyer jemandem begegnet, dem ich leider eine ehrlich Antwort auf die Frage gab, in welchen Film ich wollte: „Das schwarze Loch“. Der schaute mich verständnislos an, bis mir dämmerte, er vermute hinter diesem Titel einen Pornofilm. Ich habe eine Weile gebraucht, um die Geschichte zu erklären. Aber genützt hat es wenig – der Film war gut, blieb mir aber unverständlich. Ob das daran lag, dass ich die ganze Zeit über die Szene im Foyer schmunzeln musste, konnte ich Jahre später klären. Es liegt nicht daran. Der Film verfügt – trotz Schell – über keine wirklich stringente Handlung. Alle anderen Versionen (Buch und Comic) sind da wesentlich glaubhafter.

Jahre später war das „Rex“ in ein Cafe umgewandelt worden. Das Anschwellen des Videomarktes hatte die Pornokinos vernichtet. Außerdem zeigen die meisten Privatsender heute nachts Filme, die früher in solchen Kinos gelaufen sind. „Unter dem Dirndl wird gejodelt“ und ähnliche Kracher hielt ich früher für Scherze; erfundene Filmplakate, die nur gedruckt worden sind, um junge Männer wie mich zu verwirren ...

Im „Rex“ konnte man auch unter der Woche gut frühstücken. Die Leute, die in der Stadt waren, bestellten Karten für die nächsten Abende vor oder kauften in der Passage eine Kleinigkeit. Dies war wahrscheinlich der Grund, dass man das Cafe hier angesiedelt hatte. Das „Rex“ war meist nicht voll und man konnte gemütlich sitzen, ohne dass einen andauernd Leute ansprachen.

***

Als ich kam, saß Trix schon an einem Tisch und hatte einen Milchkaffee vor sich stehen. Sie sah ziemlich scheiße aus.

„Morgen.“

Sie schaute mich aus roten Augen an. „Selber Morgen.“ Dann nahm sie einen tiefen Schluck aus ihrer Kaffeetasse.

„Ich zahle.“

„Danke.“

Ich winkte der Bedienung und wir beide bestellten jeder ein Frühstück. Sie nahm was ökologisches, so brav mit Müsli und frisch gepresstem Karottensaft, ich war eher für etwas deftiges und versteifte mich auf Baked Beans und ein Spiegelei. Als sie ihren ersten Hunger befriedigt hatte, begann ich mit der Unterhaltung.

„Also?“ Mit dieser irrsinnig einfallsreichen Eröffnung begann ich das Gespräch. Sie lehnte sich zurück, legte die Hände auf ihren Bauch und schaute mich mit diesen müden, roten Augen an.

„Also was?“

„Was ist so wichtig, dass du mich morgens beim Duschen störst?“

Sie lachte. Ihre Lache war sehr schön, richtig melodisch. „Ich habe mir diesen Laden mal näher angesehen. Diese Christenmenschen, auf die du mich gehetzt hast.“

Ich akzeptierte wieder einmal das freundlich hingeworfene „Du“, ohne mir darüber Gedanken zu machen, ob das meine private Zukunft stark verändern würde. Zum Glück war ich im Moment sexuell eindeutig ausgerichtet.

„Darum hatte ich dich ja gebeten.“

„Diese Typen sind völlig durchgeknallt!“ Sie machte einen kurzen Moment Pause, um sich zu sammeln. „Ich habe einen Freund von mir aufgetrieben, einen Syphpunk namens Alex, dessen Schwester total auf dem Jesustrip ist. Du weißt schon: Fischaufkleber auf dem Auto, Kreuz um den Hals, ein Poster mit Baum an der Zimmerwand.“

Dieses Mal musste ich lachen. Ich vermute einfach mal, dass diese Poster von blühenden Bäumen in einem Drittweltland in Millionenauflage produziert und dann nach Europa exportiert werden. Anders ist es nicht zu erklären, dass viele Teenager diesen Scheiß in ihren Buden hängen haben. Mit einer Handbewegung machte ich ihr klar, dass ich sie nicht hatte hochnehmen wollte. Sie erzählte weiter.

„Diese Schwester kam auch in Kontakt mit diesen Leuten.“ Die Art, wie sie Leuten betonte, weckte in mir den Verdacht, dass es sich ihrer Meinung nach eher um Fischmenschen a la Lovecraft denn um echte Humanoide handeln würde. „Diese Leute sind völlig durchgeknallt. Du gehst einmal hin, zum Gottesdienst. Danach sprechen sie dich sehr freundlich an, ob es dir gefallen hat. Man kommt mit dir ins Gespräch, erzählt dir, dass deine Probleme lösbar sind und so weiter. Hauptsache, man ist bereit, Jesus in sein Leben zu lassen. So eine Scheiße!“

Ich schaute sie belustigt an.

„Acht, du hast mich sicherlich nicht danach gefragt, weil du glaubst, mir würde ein wenig Jesus in meinem Leben gut tun?“

„Ich glaube schon, dass es Menschen gibt, denen ein wenig Jesus gut tut. Mir nicht und ich glaube auch dir nicht. Kreuzigen ist nicht so mein Ding.“

„Meines auch nicht!“

„Wie ging es weiter?“

„Na ja, Alex hat nicht so viel Kontakt zu seiner Familie. Aber seine Eltern haben auf einmal nach ihm gesucht, weil sie wollten, dass er mit seiner Schwester spricht – alles andere hatten sie wohl schon versucht. Er hat es dann wirklich gemacht, ist sogar einmal mit in den Gottesdienst. Es hat ihm eigentlich ganz gut gefallen – netter Gesang waren seine Worte. Aber die sahen alle so schick aus. Und selbst seine Schwester sah auf einmal aus wie ein Super-Spießer. Föhnfrisur, saubere Klamotten, adrett angezogen halt.“

Jetzt war der Punkt gekommen, an dem ich den Eindruck hatte, sie wollte sich übergeben .Wahrscheinlich war es eine Allergie gegen das Wort „adrett“ – wobei ich zugeben muss, dass ich nicht vermutet hätte, das ihr Wortschatz dieses Wort hergibt. Man kann sich halt in ihr immer wieder täuschen – gerade das macht es so angenehm, mit ihr etwas zu unternehmen.

„Und?“

„Na ja, das ist wirklich eine Sekte. Anfangs ist die wohl nur einmal die Woche zum Gottesdienst hin. Dann gab es da einen Singkreis am Dienstag, einen Bibelkreis am Donnerstag und Mittwochs Hausabende, wo man sich mit Brettspielen die Zeit vertreibt. Erst hat sie mit dem Rauchen aufgehört, weil ihr Körper ein Tempel sei, den sie nicht verschmutzen darf. Und jetzt regt sie sich darüber auf, mit wem ihr Bruder rumfickt oder gerne rumficken würde. Als könnte ihr das nicht scheißegal sein!“

Ich hoffte, dass niemand an den Nachbartischen das Wort „rumficken“ aufgeschnappt hatte. Das Ambiente des „Rex“ und meine Gesellschaft drohten mich schon wieder in eine ähnliche Situation zu bringen wie damals mit „Das schwarze Loch“.

„Gehirnwäsche?“

„So ähnlich. Er erkennt seine Schwester nicht wieder – und seine Eltern auch nicht. Aber sie lächelt ihn immer nur brav an und meint, dass er auch die Wahrheit finden müsse.“

„Und findet er die Wahrheit?“

„Unwahrscheinlich. Aber er ist eingeladen. Nächsten Sonntag ist wohl wieder so ein Super-Duper-Gottesdienst samt Beterei und Wundern.“

„Das klingt ja prickelnd.“

„Ist es auch. Alex hat nämlich mitbekommen, dass ich mich für den Kram interessiere, und seine Schwester gefragt, ob er jemanden mitbringen darf.“

Mir wurde auf einmal klar, in welche Richtung dieses Gespräch laufen würde.

„Darf er?“

„Seine Schwester ist vor Freude fast ausgetickt. Die glaubte wohl schon, seine Seele sei in den Händen des Teufels, und auf einmal fragt der nach, ob er jemanden mitbringen darf. ‚Soviele Schäfchen wie du willst’ soll seine Schwester geantwortet haben. Und bei den Schäfchen dachte ich natürlich gleich an dich und mich.“

„Super!“ Dieses Wort kam mir ein wenig unbegeistert über die Lippen, aber Trix schien dazu bereit, dies zu ignorieren. Aber ich sah mich nicht als Schaf oder Lamm und ich war mir nicht sicher, ob eine Einladung zu den Christenmenschen im Moment Nummer 1 auf meiner internen Wunschliste war. „Und warum die roten Augen?“

„Oh, natürlich will ich nicht, dass meine Seele dem Teufel entringt. Also habe ich die Nacht mit Alex verbracht – du weißt schon, rumficken und kiffen.“ Sie lachte.

Ich wurde wohl ein wenig rot, doch dann lachte ich auch. „Ein cleverer Plan. Du hoffst wohl, dass dir eine sichere Fahrkarte in die Hölle den Himmel verwehrt?“

„So ähnlich.“ Sie lachte.

„Naja, bin mal gespannt, ob es was nützt.“

Sie teilte mir dann noch einmal mit, wann wir uns mit Alex am Sonntag treffen würden, und ich machte ein paar Vorschläge, als was wir uns ausgeben würden. Dann bat ich um die Rechnung und zahlte. Trix verabschiedete sich mit einem Händedruck und ging. Ich konnte nur hoffen, dass sie pünktlich sein würde! Alleine wollte ich mich den bissigen Christen nicht stellen.

 

***

 

Auf dem Weg zum Büro hatte ich den Eindruck, als würde meine Hosentasche brennen. Der Zettel mit ihrer Telefonnummer lag schwer wie eine Bleiplatte darin und erinnerte mich immer daran, dass ich heute noch ein Gespräch zu führen hatte.

Elsbeth begrüßte mich freundlich und stellte mir kommentarlos einen Kaffee hin. Sie hatte sicherlich ganz andere Theorien zum Verlauf von Abend, Nacht und Morgen als ich. [Stimmt! E.]

Ich öffnete erst die Eingangspost, dann räumte ich wenig meinen Schreibtisch auf. Aber alles half nichts – ich hatte den Anruf noch nicht getätigt. Endlich griff ich nach dem Hörer und wählte die Nummer. Es klingelte einmal, es klingelte zweimal, es klingelte dreimal. Schüchtern, wie ich es nur selten bin, wollte ich schon auflegen, als auf einmal ihre Stimme im Hörer zu vernehmen war.

„Ja?“

Meine Kehle war wie stranguliert, ich wusste nicht, was ich sagen sollte ...

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