Homo Magi - Teambeitrag

Der Mann, der die Zukunft brachte

Zum Tode von Walter Ernsting (1920-2005)

Walter Ernsting, der später insbesondere unter dem Pseudonym Clark Darlton bekannt wurde, kam am 13. Juni 1920 in Koblenz zur Welt. Seine Jugend verbrachte er beim RAD (Reichsarbeitsdienst), dem schloß sich der Dienst bei der Wehrmacht an. Während des Dritten Reiches geriet Walter Ernsting, der für den Nationalsozialismus nichts übrig hatte, mehrmals mit den Herrschenden aneinander, was einmal sogar vors Kriegsgericht führte. Das Kriegsende erlebte er in sowjetischer Kriegsgefangenschaft – eine Zeit, die ihn grundlegend prägte. 1950 kehrte er heim und arbeitete zunächst als Übersetzer. Dadurch geriet er in Berührung mit der in Deutschland aufkommenden Science Fiction. 1955 wurde er Redakteur beim Erich Pabel Verlag und gab die Reihe „Utopia Großband“ heraus. Im Rahmen dieser Reihe entstand die erste Leserkontaktseite der deutschen  Science Fiction-Szene, „Meteoriten“.

Doch das reine Übersetzen genügte Walter Ernsting nicht, daher sprach er Kurt Bernhardt, den damaligen Cheflektor des Pabel-Verlages, auf die Möglichkeit an, einen selbstgeschriebenen Roman im Rahmen der „Utopia Großbände“ herauszugeben. Kurt Bernhardt wies dies zurück mit den Worten „Übersetzen Sie lieber!“ Gesagt – getan: zwei Monate später brachte Walter Ernsting senen Erstlingsroman „UFO am Nachthimmel“ vorbei, getarnt als „Übersetzung“ des Romanes „To-Morrow the Future“ eines neuen amerikanischen SF-Autoren namens Clark Darlton. Kurt Bernhardt nahm die „Übersetzung“ sofort an. So kam Walter Ernsting zu seinem berühmten Pseudonym. Auch sein zweiter Roman, „Der Mann, der die Zukunft stahl“ erschien unter dem Namen Darlton als „Übersetzung“.

Am 4. August 1955 war Walter Ernsting an einem weiteren, für die SF-Szene in Deutschland bedeutenden Ereignis maßgeblich beteiligt: in einem Frankfurter Lokal gründete er zusammen mit Walter Spiegl, Julian Parr und seiner damaligen Ehefrau Waltraud den Science Fiction Club Deutschland (SFCD, http://www.sfcd.de ) und wurde dessen erster 1. Vorsitzender. Bereits einen Monat später erschien die erste Ausgabe der Clubzeitschrift ANDROmeda.

Im Herbst 1960 entstand bei einem Treffen mit K.H. Scheer die Idee zu einer wöchentlichen Weltraumserie. Wer genau die Idee hatte, kann heute nicht mehr ermittelt werden; laut Scheer stammte die Idee von Kurt Bernhardt, Walter Ernsting dagegen erzählte, die Idee hätten Scheer und er bei einem Bier auf dem Balkon von Ernstings damaliger Wohnung in Irschenberg gehabt. Fest steht aber, dass Ernsting und Scheer bei jenem Treffen das Grundkonzept der Serie festlegten, sowie ihr den Namen gaben: Perry Rhodan.

Perry Rhodan erwies sich als Ernstings Hauptwerk. Er verfasste insgesamt 192 PR-Romane, von Band 2 („Die Dritte Macht“) bis Band 1622 („Der Verlorene“), alle unter dem Pseudonym Clark Darlton. Dabei hielt sich Walter Ernsting nicht immer streng an die Vorgaben des Exposés. So machte er in Band 18 („Die Rebellen von Tuglan“) den Mausbiber Gucky zur Hauptperson, obwohl dieser von Scheer nur als Nebenfigur vorgesehen war. Der Multimutant Gucky (Telepath, Telekinet und Teleporter in einem), der immer zu Streichen aufgelegt war, wurde zu Walter Ernstings Hauptperson in der Serie. Bis heute ist Gucky eine der beliebtesten Figuren der Serie. Durch den respektlosen Mausbiber, der gerne mal starrköpfige Bürokraten durch Einsatz seiner telekinetischen Fähigkeiten der Lächerlichkeit preisgibt, brachte Walter Ernsting ein humorvoll-anarchistisches Element in die Perry-Rhodan-Serie. Allerdings blieb er lange Zeit der einzige Autor, der die Person Gucky angemessen darstellen konnte; erst Leo Lukas gelang es wieder, den Mausbiber angemessen zu charakterisieren. Andere Ernsting-typische Personen sind der zeitreisende Mutant Ernst Ellert und das Kugelwesen Harno.

Neben seinen 192 PR-Romanen verfasste Walter Ernsting noch 32 Hefte der Serie Atlan (eines „Ablegers“ der Perry-Rhodan-Serie) sowie 24 PR-Taschenbücher. Darüber hinaus schrieb er vier Romane der kurzlebigen Fantasy-Serie „Dragon“, die 1973/74 erschien.

In jenen Jahren (1973/74) erschienen auch einige Werke aus Ernstings Feder, die nicht zur Perry-Rhodan-Serie gehörten: Bei Heyne brachte er drei SF-Jugendbücher heraus, die sog. „Rätsel-Trilogie“. In ihr kommt eins von Ernstings Hauptthemen vor: der Besuch außerirdischer Wesen auf der Erde in der Vergangenheit, kurz: die Paläo-SETI-Hypothese. Dieses Thema taucht auch schon in Walter Ernstings frühen Werken auf; es ist bekannt, dass Autoren wie Peter Krassa und Erich von Däniken durch diese Frühwerke beeinflusst wurden.

1974 versuchte sich Walter Ernsting auch (unter dem Pseudonym Frank Haller) im Western-Genre. Aber seine ersten beiden Romane stießen auf wenig Gegenliebe: der Lektor des Bastei-Verlages, in dem die Romane erscheinen sollten, monierte, dass es „zuwenig Leichen“ gebe. Walter Ernsting, der aufgrund seiner Kriegserlebnisse Gewalt verabscheute, sah daraufhin von weiteren Westernromanen ab; offensichtlich wollte er sich dem Ruf des Lektors nach „mehr Leichen“ nicht beugen.

1979 erschien im Marion von Schröder Verlag „Der Tag, an dem die Götter starben“. In diesem „Dokumentarroman“ verbindet Walter Ernsting autobiografische Kriegserlebnisse mit „UFO-Science Fiction“ im Sinne der Paläo-SETI-Hypothese. Dieser Roman gilt heute als Walter Ernstings wichtigstes Werk.

In die Siebziger Jahre fallen auch viele Conbesuche von Walter Ernsting. Dabei bewies er im Umgang mit den Fans immer viel Herzlichkeit und Humor. Eine Anekdote möge dies verdeutlichen: auf dem Weltcon 1980 in Mannheim (veranstaltet anlässlich des tausendsten PR-Bandes) erschien ein schlaksiger sechzehnjähriger Bengel mit einem selbstgemachten Button „Clark Darlton – nein danke!“sowie einem Anstecker „Stoppt Gucky“. Walter Ernsting steckte sich „Stoppt Gucky“ an und ließ sich damit fotografieren. (Der Bengel von damals, Klaus N. Frick, ist übrigens heute Chefredakteur der Perry-Rhodan-Serie).

In den Achtziger Jahren wurde es still um Walter Ernsting. Ihm machte eine Lungenerkrankung zu schaffen, die ihre Ursachen in der Kriegsgefangenschaft hatte. Daher zog er für einige Jahre nach Irland und schränkte seine Arbeit als Schriftsteller stark ein. 1995 kehrte er nach Salzburg zurück, wo er seine letzten Lebensjahre verbrachte. Reisen oder gar Conbesuche waren ihm unmöglich geworden. Zum PR-Weltcon Ende 1999 in Mainz (anlässlich des PR-Bandes 2000) sandte er daher eine Videobotschaft, die von den anwesenden Fans mit minutenlangem Applaus honoriert wurde.

Am 15. Januar 2005 starb Walter Ernsting in einem Salzburger Krankenhaus.

Walter Ernsting hat die deutsche Science Fiction-Szene entscheidend mitgeprägt, sowohl als Autor als auch als Clubgründer (SFCD). Aus seinen Werken spricht eine universelle Toleranz gegenüber dem Leben an sich, daher kommen sie meistens mit relativ wenig Gewalt aus. Weitere Hauptthemen seiner Werke sind Zeitreisen, insbesondere körperlose Reisen durch Raum und Zeit (eine Fähigkeit, die etwa der Mutant Ernst Ellert in der PR-Serie aufweist), und paranormale Fähigkeiten durch Mutationen. Ein weiteres Hauptthema von Walter Ernstings Werken ist die Paläo-SETI-Hypothese, eine Hypothese, die aus heutiger Sicht fragwürdig erscheint. Dennoch sind Walter Ernstings Verdienste um die heutige Science Fiction in Deutschland unbestritten. Besonders hervorzuheben ist sein maßgeblicher Anteil an der Perry-Rhodan-Serie, insbesondere die Figur des Mausbibers Gucky.

(Quelle: Heiko Langhans, Clark Darlton - Der Mann, der die Zukunft brachte, Rastatt 2000, VPM Verlagsunion Pabel Moewig)

Volkmar Kuhnle, Januar 2005

Kondolenzbuch für Walter Ernsting

 

 

       

 

 

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