Homo Magi - Teambeitrag

Das Voynich-Manuskript

Ein ungelöstes Rätsel der Geschichte

Artikel zuletzt aktualisiert am 21.01.2021

Das Voynich-Manuskript ist eins der wohl rätselhaftesten Schriftstücke der Geschichte. Es wurde in einer unbekannten Schrift und in einer unbekannten Sprache verfaßt. Bis heute ist es niemandem gelungen, die 232 Seiten zu entziffern. Selbst Experten des amerikanischen Geheimdienstes NSA, welcher weltweit auf dem Gebiet der Kryptographie führend ist, bissen sich am Voynich-Manuskrpit die Zähne aus.


Die Geschichte des Voynich-Manuskripts

Das Manuskript ist benannt nach seinem "Finder" Wilfried M. Voynich, einem Sammler alter Schriftstücke. Er entdeckte das Manuskript 1912 im Jesuitenkolleg in der Villa Mondragone, Frascati (Italien). Seit 1969 ist das Manuskript im Besitz der Yale Universität (Beinecke Rare Book Library, Katalognr. MS 408). 

Das Alter des Manuskripts war lange Zeit unbekannt. Erst im Dezember 2009 ergab (laut Telepolis) eine Radiokarbon-Datierung, dass das Pergament, aus dem das Manuskript besteht, mit sehr großer Wahrscheinlichkeit zwischen 1404 und 1438 entstanden ist. Eine Untersuchung des McCrone-Instituts in Chicago zeigte weiterhin, dass die Tinte relativ kurz nach der Herstellung des Pergaments aufgetragen worden sein muss. Der Verfasser ist bisher nicht bekannt.

Aus einem Brief, geschrieben von J.M. Marci im Jahre 1665/66, wissen wir, dass Kaiser Rudolf II (1552-1612) das Manuskript von einem unbekannten Händler für die damals exorbitante Summe von 600 Golddukaten käuflich erworben hat. 1608 kam das Werk dann in den Besitz von Jacobus de Tepenecz, dem Direktor von Rudolfs botanischen Gärten. Nach de Tepenecz Tod im Jahre 1644 gelangte das Voynich-Manuskript in den Besitz des Alchimisten Georg Baresch. Dieser schickte eine Kopie der Manuskriptseiten an Athanasius Kircher, Jesuit und Gelehrter in Rom; einer der führenden Kryptographie-Experten der damaligen Zeit. Kircher scheint jedoch niemals auf Bareschs Anfrage reagiert zu haben. Nach Bareschs Tod erbte der böhmische Arzt und Naturwissenschaftler Johannes Marcus Marci das Manuskript und sandte es zusammen mit dem o.g. Brief an Kircher. Kircher reagierte diesmal; er analysierte einen Teil des Manuskripts, konnte es aber offensichtlich nicht entziffern. 

Hier verliert sich die Spur des Voynich-Manuskripts zunächst. Der genaue Weg von Kircher zur Villa Mondragone ist unbekannt; man nimmt an, dass das Manuskript wohl eine Zeitlang in einer römischen Bibliothek gelagert wurde, bis es in die Villa Mondragone kam. 

Der Inhalt

Wie bereits oben geschrieben, ist das gesamte Manuskript in einer unbekannten Schrift geschrieben, für die es nirgends auf der Welt ein Gegenstück gibt. Daher kann man über den Inhalt nur mutmaßen. 
Das Manuskript ist jedoch sehr reichhaltig - und farbig - illustriert, wie die Seiten der Voynich Manuscript Photo Gallery zeigen. 

Anhand der Illustrationen wird das Manuskript grob in die folgenden Abschnitte unterteilt (nach G. Landini und R. Zandbergen): 

  • Ein Abschnitt über Kräuterkunde ("Herbal Section"), zumeist bestehend aus nicht identifizierten Pflanzen

  • Ein Abschnitt über Astronomie mit Tierkreis-Symbolen

  • Ein Abschnitt über Biologie mit "anatomischen" Abbildungen und nackten menschlichen, meist weiblichen, Figuren, den sog. "Voynich-Nymphen"

  • Ein kosmologischer Abschnitt (Sterne und Himmelssphären)

  • Ein pharmazeutischer Abschnitt (Vasen und Pflanzenteile)

  • Ein Abschnitt mit "Rezepten", der aus vielen kurzen Absätzen besteht 

Wie gesagt, dies ist eine reine Einteilung anhand der Illustrationen. Da der Inhalt bisher völlig unbekannt ist, ist nicht auszuschließen, dass die hier aufgeführte Einteilung der Abschnitte mit dem Wortlaut des Textes in keinem Zusammenhang steht.

Ergebnisse bisheriger Untersuchungen

Es wurden bereits mehrere Anläufe gemacht, den Sinn des Voynich-Manuskripts zu ergründen. 

Das erste ist eine Analyse der Handschriften. Diese ergab, dass der Text mit großer Wahrscheinlichkeit von mindestens zwei Personen geschrieben wurde. Beide Verfasser sind mit großer Sorgfalt vorgegangen. Man findet praktisch keinerlei Hinweise auf Nachbesserungen im Manuskript, wie sie sonst in vielen mittelalterlichen handschriftlichen Dokumenten gang und gäbe sind. Das legt die Vermutung nahe, dass das Manuskript die Abschrift eines älteren Dokumentes, oder mehrerer älterer Dokumente, ist. Wäre es eine Urschrift, so wären garantiert mehr Fehler zu finden.

Als nächstes bietet sich eine Analyse der Häufigkeit der verschiedenen Zeichen an. Dadurch läßt sich die Entropie eines Textes ermessen. Eine solche Analyse ergab, dass die Entropie des Textes größer ist als bei allen bisher bekannten europäischen Sprachen. Das spricht dafür, dass es sich um sinnvollen Text handelt, und nicht etwa um eine rein zufällige Aneinanderreihung wirrer Symbole. Vor allem kann dadurch ausgeschlossen werden, dass das Voynich-Manuskript ein Schwindel ist. Die Entropie liegt nahe bei der Entropie einiger polynesischer Sprachen, so dass bereits vermutet wurde, dass die Sprache des Manuskripts eine polynesische ist. Deutet man jedoch die Zeichen des Manuskripts als Buchstaben und die Leerstellen als Worttrenner, so ist die mittlere Länge eines Wortes kürzer als bei allen bekannten Sprachen. Das wiederum spricht u.a. gegen Polynesisch. Es wurde auch bereits vermutet, dass der Text ohne Vokale aufgeschrieben wurde, wie es etwa bei alten hebräischen Texten der Fall war. Dadurch wäre die kurze Wortlänge erklärbar.

Aufgrund von unterschiedlichen Worthäufigkeiten in den verschiedenen Abschnitten sprachen mehrere Forscher die Vermutung aus, dass das Manuskript nicht in einer, sondern in zwei verschiedenen Sprachen verfaßt wurde bzw. dass zwei verschiedene Codes verwendet wurden.

Andere Forscher setzten bei den Illustrationen an. Der botanische Teil jedoch widersetzte sich einer Analyse. Bis heute konnte der Großteil der abgebildeten Pflanzen nicht identifiziert werden. Es fällt jedoch auf, dass bei vielen Seiten des botanischen Abschnitts das erste Wort nur am Anfang der Seite vorkommt und sonst nirgends. Dies deutet darauf hin, dass es sich um den Namen der Pflanze handeln könnte. Da jedoch, wie oben gesagt, die meisten der abgebildeten Pflanzen bisher nicht eindeutig bestimmt werden konnten, hilft diese Erkenntnis beim Entschlüsseln ebenfalls nicht weiter.

In der Astronomie-Sektion des Manuskripts hatte man mehr Erfolg. Immerhin konnten alle zwölf Tierkreiszeichen einwandfrei identifiziert werden. Anhand der Bilder zu den Tierkreiszeichen stellte man fest, dass es sich um die im westlichen Kulturkreis gebräuchlichen Sternbilder handelt. Das ist ein weiteres Indiz dafür, dass das Voynich-Manuskript wohl in Europa entstanden ist. Auffällig ist, dass der Tierkreis mit dem Sternzeichen Fische beginnt, und nicht mit dem Widder, wie man erwarten würde.

Eins der Symbole, das in der Astronomie-Sektion häufig als erstes Zeichen eines Wortes steht, wurde als Vorsilbe "al" gedeutet. Diese Vorsilbe kommt in vielen Sternennamen vor, da viele Bezeichnungen für Gestirne aus dem arabischen Sprachraum stammen (Beispiel: Aldebaran, der Hauptstern des Stiers). 

Im "anatomischen Abschnitt" wird vermutet, dass es sich bei den abgebildeten "Röhren" um innere Organe handelt. In diesem Abschnitt gibt es ein weiteres Indiz dafür, dass der Ursprung des Voynich-Manuskripts in Europa zu suchen ist: eine der "Nymphen" trägt einen Hut auf dem Kopf, der für Florentiner Damenmode des 15. Jahrhunderts typisch ist.

Das wichtigste Indiz für den Entstehungsort des Manuskripts befindet sich im "kosmologischen Abschnitt". Hier sind auf einer Abbildung eingekerbte Zinnen (sog. Schwalbenschwanzzinnen) zu sehen. Laut dem o.g. Telepolis-Artikel deutet dies darauf hin, dass das Manuskript in Norditalien entstanden ist.

Die Analyse der übrigen Abschnitte brachte bisher nichts Verwertbares zutage.

Ist das Manuskript ein Schwindel?

Aufgrund der bizarren und einmaligen Natur des Voynich-Manuskripts kam bereits sehr früh der Verdacht auf, dass das Manuskript eine Fälschung sei. Zuerst stand Wilfried Voynich selbst im Verdacht, das Werk gefälscht zu haben; aufgrund der o.g. Altersbestimmungen des Pergaments kann dies jedoch ausgeschlossen werden.

Nach wie vor möglich wäre es jedoch, dass das Manuskript insofern ein Schwindel ist, als dass der Text gar nichts bedeutet. Diese Theorie erhielt 2003 neuen Auftrieb durch eine Untersuchung des Computerexperten Gordon Rugg. Rugg zeigte, dass durch Anwendung eines Cardan-Gitters sinnloser Text erzeugt werden kann, der eine ähnliche Entropie aufweist wie der Text des Voynich-Manuskripts. Andere Autoren vertraten jedoch die Ansicht, dass durch entsprechende Cardan-Gitter die Entropie praktisch jeder natürlichen Sprache simuliert werden könnte. Darüber hinaus spricht gegen Ruggs Hypothese, dass der Mathematiker Gerolamo Cardano das nach ihm benannte Gitter erst um 1550 erfand, das Pergament des Manuskripts jedoch bereits zwischen 1404 und 1438 hergestellt wurde (s.o.).

Das Fazit ist ernüchternd: bis heute ist nicht einmal zweifelsfrei geklärt, ob die Zeichen eines Voynich-Wortes für einzelne Buchstaben oder für ganze Silben stehen. Bis auf die Vorsilbe "al-" gibt es keinen Hinweis auf die Bedeutung einzelner Zeichen, und selbst "al-" wird von einigen Forschern bezweifelt. 

Die Analyse der Illustrationen lässt vermuten, dass das Manuskript in Europa - genauer: in Norditalien - entstanden ist. Auch der Entstehungszeitraum konnte inzwischen auf die Zeit zwischen 1404 und 1438 eingegrenzt werden, durch eine Untersuchung der verwendeten Tinte.

Aber die eigentliche Bedeutung des Voynich-Mansukripts ist bis heute unbekannt, das Rätsel auch nach Jahrzehnten der Forschung ungelöst.

Volkmar Kuhnle 

 

       

 

 

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