Homo Magi-Teambeitrag

Rabengeschrei - von Raben, Rillen, Runen und Recken

Buch, Second Sight Books,2. erweiterte Auflage November 2001 (1. Auflage im Wolfgang Bauer Verlag), herausgegeben von Wolfgang Bauer und Clemens Zerling

Kaum ein Vogel hat das Denken der Menschen mehr bewegt als der Rabe, insbesondere der Kolkrabe (Corvus Corax). Durch sein prächtiges schwarzes Gefieder und seinen durchdringenden und auffallenden,. krächzenden Schrei hat er praktisch alle Völker tief beeindruckt und überall in der Mythologie – besonders in der germanischen - Spuren hinterlassen. Daher lag es nahe, dem Raben ein eigenes Buch zu widmen.

 Die tiefsten Eindrücke hinterließ der Rabe in der Mythologie der Germanen. Daher ist es nur passend, dass der erste längere Artikel des Buches, verfasst von Hans-Helmut Dörner, sich mit dem „Raben in Mythos, Ritus und Mantik des germanischen Heidentums“ beschäftigt. Dabei werden natürlich auch Hugin („Gedanke/Denken“) und Munin („Gedächtnis/Erinnerung“) erwähnt, die beiden Raben Odins. Dörner zitiert dazu die vier Zeilen aus dem Edda-Gedicht Grimnismal, in denen Odin spricht: „Hugin und Munin fliegen jeden Tag/ über die Erde/Ich sorge mich um Hugin, dass er nicht zurückkommt/doch bange ich mehr noch um Munin“. Direkt danach kommt „Odins Rabenzauber“ in der Übersetzung von Karl Simrock. „Odins Rabenzauber“ ist ein Gedicht, das Simrock noch als Teil der Edda wähnte, das nach neuerer Forschung allerdings aus dem 16. oder dem beginnenden 17. Jahrhundert stammt; daher wird es in neueren Edda-Ausgaben meistens weggelassen.

Auf dem oben erwähnten „Hugin-und-Munin“-Aspekt basiert die weiter hinten abgedruckte Geschichte „Rabenrat“ von Duke Meyer, Pressesprecher des Rabenclan e.V.. Der Inhalt: Eines Tages kommt Munin nicht mehr zu Odin zurück, was bedeutet, dass Odin den Großteil seines Gedächtnisses verliert und sich an eine indianische Hellseherin (oder gar eine Göttin?) wenden muß, um Munin wiederzufinden. Eine für Odin äußerst peinliche Situation, kann er doch keine Zauber mehr wirken...

Von Duke Meyer ist ein zweites Werk im vorliegenden Band zu finden: „Des Raben Unterflug – ein unterirdischer Monolog“ in dem eine Reihe vornehmer Gäste in die Katakomben der Stadt geführt werden, wo sie ein übermannsgroßer Rabe empfängt und ihnen unangenehme, aber meist verdrängte Wahrheiten ins Gesicht schleudert. Der Rabe ist ein Symbol für den Tod, der in unserer Gesellschaft so gerne verdrängt wird.

Direkt danach kommt ein Artikel von Edzard Klapp, der sich mit dem „Rabenbrot“ beschäftigt, worunter vermutlich der Fliegenpilz zu verstehen ist. „Rabenbrot“ wurde in vielen alten Kulturen als Rauschmittel bei Kulthandlungen eingesetzt, etwa im alten Griechenland.

Sergius Golowin betrachtet den Raben wiederum aus einer anderen Sicht, einer schamanistischen/alchemistischen. Er zeigt auf, dass der Rabe nicht nur als Bote des Todes gilt, sondern gleichzeitig als Zerstörer des Alten, Welken, Verbrauchten, während die Seele des Menschen eben nicht durch den Raben zerstört wird, sondern über den „Rabenweg“ in neue Gefilde voranschreitet.

Josef Dvorak wiederum unterzieht das Wort „Rabe“ einer kabbalistischen Analyse, die nicht für jedermann nachvollziehbar sein dürfte.

Der längste Text im gesamten Buch ist jedoch dem wohl berühmtesten Rabentext und seinem Schöpfer gewidmet. Die Rede ist von „The Raven“, verfasst von Edgar Allan Poe (meiner Ansicht nach eins der genialsten Gedichte aller Zeiten). Zuerst stellt Mitherausgeber Wolfgang Bauer ausführlich das Leben des „Rabendichters“ und seine besondere Beziehung zu jenem schwarzen Vogel vor, bevor dann „The Raven“ selbst inclusive einer deutschen Übersetzung abgedruckt ist. Als besonderes Schmankerl folgen danach dreizehn verschiedene Übersetzungen der ersten Strophe. Dies ist einer der lesenswertesten Abschnitte des gesamten Buches. Es ist unglaublich, wie verschieden dreizehn Übersetzungen desselben englischsprachigen Gedichts ausfallen können.

 Was natürlich auch nicht fehlen darf, sind die Grimmschen Märchen „Die sieben Raben“ und das unbekanntere „Die drei Raben“.

Das „Rabenrätsel“ von Lewis Carroll, ein Bericht über den Ort „Rabenholz“ in Schleswig-Holstein, eine Vorstellung des Sternbildes „Rabe“ sowie einige andere Artikel runden das Buch ab.

Fazit: Im „Rabengeschrei“ ist es den beiden Herausgebern gelungen, die diversen mythologischen Aspekte des Raben fast vollständig zu erfassen. Die meisten Artikel lesen sich gut bis hervorragend, und man lernt einiges neue dazu. Das Buch ist uneingeschränkt empfehlenswert für alle, die sich mit dem Raben auseinandersetzen wollen. Das einzige, was ich ein wenig vermißt habe, ist ein Porträt der Band Corvus Corax („Kolkrabe“); aber das ändert nichts an der hohen Qualität des Buches.

Volkmar Kuhnle, Januar 2002

 

Homepage von Second Sight Books: http://www.second-sight-books.de

Homepage von Duke Meyer: http://www.eibensang.de

Diese Kritik erschien ursprünglich auf http://www.darkweb.de

 

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