Homo Magi PR-Kolumne
 

Brennende Bibliotheken

Hermann Ritter

In einem Interview mit einem indisch-stämmigen Science Fiction-Autor stand der beeindruckende Satz: „Wo sind unsere Bücher, die man aus brennenden Bibliotheken retten muss?“[1]

 

Wo sie sind? Ich weiß es nicht. Es sind meiner Meinung nach nicht die in den letzten Monaten epidemisch erscheinenden Titel zu den einzelnen Brauchtümern von Fantasy-Rassen (Die Wunzwasel, Die Rache der Wunzwasel, Krieg der Wunzwasel, Die Erbin der Wunzwasel, Wunzwasel – Der Bildband, Im Reich der Tifftitongi – von der Autorin von Die Erbin der Wunzwasel). Bei einem Brand in der Wohnung blieben auch die beliebigen Abenteuer von aristokratischen anämischen Bluttrinkern, deren einziger Wunsch darin besteht, in erotisch angehauchten und sexuell eher biederen Romanen nach Jahrhunderten der Suche endlich die Frau ihrer Träume gefunden zu haben. Weiterhin würde ich alle Bücher aussortieren, auf denen draufsteht, dass Wolfgang Hohlbein sie empfiehlt. Ich habe nichts gegen Wolfgang Hohlbein. Aber wenn es wirklich nur einen Wolfgang Hohlbein gibt – wann schreibt er die ganzen Bücher und liest die ganzen anderen? Ist Hohlbein nicht längst keine Person mehr, sondern ei reines Prädikat, angehängt einer Gruppe von Hohlbein-Epigonen, die seinen Stil nacheifernd Bücher auf die Grabbeltische werfen? Auch nicht retten werde ich die Werke mit Historik-Fantasy-Mischcharakter, die mit Titeln wie Die Wunderhure, Die Wunderärztin von Bombay oder Drei elbenKronen im Dreivierteltakt Historik und Fantasy vermischen wollen und bei deren Mix der fertige Drink nach keinem der beiden Ursprungsgetränke schmeckt. Der Hinweis, dass es dann „wie Rinderpisse“ schmecken könnte, scheitert daran, dass ich keine Ahnung habe, wie Rinderpisse schmeckt. Ehrlich. Auch nicht retten würde ich alle Bücher, die sich auf den Herrn der Ringe beziehen – entweder im Stil von, der echte Erbe von oder in der Welt von.

Ein wenig Lin Carter würde ich retten. Leigh Brackett. Michael Moorcock. Ein wenig C.S. Lewis (was man so schnell tragen kann), ein wenig Tanith Lee, ein wenig Ursula K. LeGuin. Aber ich würde etwas finden. Sicherlich.

Das, was jeder hat, braucht man aus einer brennenden Bibliothek nicht retten. Diese Bücher könnte man nachkaufen. Die Einzelstücke, die einem ans Herz gewachsen sind – die holt man raus, weil sie geliebt sind. Das eselsohrige Exemplar von Die Königstochter aus Elfenland, den Billigdruck von Das letzte Einhorn und Narnia in der illustrierten Penguin-Ausgabe.

Das ist der Sinn der Liebe zu Büchern. Man sucht nicht den Mainstream, die Bücher, über die man überall lesen kann, sondern jene übersehenen Perlen, die man zum Glück immer noch finden kann.

Wie ein Trüffelschwein wühle ich mich durch Bücherberge, um das zu erhaschen, was bleibt – und das zu kennen, was vergeht.



[1] Vandana Singh „Ein Gespräch mit Anil Menon“ in „Nova 12“ (2007)

 

Hermann Ritter 
 

 

 

 

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