homomagi.de/prkolumnen
 

Beinahe ein Tag wie jeder andere

Hermann Ritter

Miriam H. wachte an diesem Morgen wie immer um 4.30 Uhr auf. Sie machte ihre Morgengymnastik, verschwand für eine Dreiviertelstunde im Bad und frühstückte dann im Morgenmantel. Ihr machte es nichts aus, dass sie alleine frühstückte – ein Atlan-Pappaufsteller leistete ihr Gesellschaft, während vom CD-Player leise der Soundtrack des PERRY RHODAN-Films lief. Sie zog sich an und stieg gegen 6.15 Uhr ins Auto.

Sei freute sich jeden Tag auf die Arbeit, obwohl sie jeden Tag fast 45 Minuten pendeln musste, bis sie ihr geliebtes Rastatt erreichte. Im Auto lief die Hörspielversion eines Voltz-Romans, den sie inzwischen mitsprechen konnte. Aber sie war glücklich.

Gegen 7.00 Uhr betrat sie das Verlagsgebäude von VPM in Rastatt. Sie betrat das Gebäude wie jeden Tag durch den Seiteneingang, damit sie schnell ins Büro kommen konnte. Vor dem Eingang lungerten schon jetzt die ersten PERRY RHODAN-Fans herum, die einen Blick auf eines ihrer Idole erhaschen wollten. In den letzten Tagen hatten sie sogar die Straße blockiert, so dass ein Trupp der einheimischen Polizei die Durchfahrt für Klaus Bollhöfener räumen musste. Klaus hatte sich seine gute Laune nicht nehmen lassen, er war ausgestiegen und hatte eine halbe Stunde lang Autogramme verteilt. Nachher leerte er dann lachend im Büro seine Manteltaschen aus, in die ihm die weiblichen Fans wieder Zettel mit ihrer Handy-Nummer gesteckt hatten.

Miriam summte leise vor sich hin, während sie durch den RHODAN-Bürotrakt ging, die Kaffeemaschine anschaltete, die Blumen goss und erst einmal überall gründlich durchlüftete. Dann schüttelte sie die Sitzkissen der Kläuse aus, wischte ein wenig Staub im Regal mit den internationalen Literaturpreisen und begann dann damit, aus dem mitgebrachten Korb ein kleines Frühstück für die Belegschaft aufzubauen.

Die Zeit verging wie im Fluge. Der Sekt musste in den Kühler, die Lachsbrötchen mussten kalt gestellt werden, der Kaviar kam in kleine Glasschälchen und wurde mit silbernen Löffeln verziert, die Orangen wurden noch schnell ausgepresst und aus dem kalten Braten wurden mit einigen Silberzwiebeln und Gürkchen noch schöne Platten gezaubert.

Gegen 8.30 Uhr begann das große Gemurmel im Gang. Die ersten Reporter überregionaler Zeitschriften waren draußen eingetroffen – wohl darauf hoffend, dass sie heute etwas über den weiteren Verlauf der Handlung erfahren würden. Doch die Kläuse hatten vorgesorgt – immerhin war für diese Woche ein Interview mit der „Zeit“ vereinbart worden, nächste Woche war dann das „Times Literary Supplement“ dran. Das wäre für dieses Quartal ausreichend, hatte der Chefklaus entschieden. Eine zu hohe Medienpräsenz würde das Interesse an PERRY RHODAN zu sehr hochkochen. Schon jetzt kamen die Druckmaschinen und Vertrieb kaum nach, wenn die wöchentliche Auflage an die Kioske, Bahnhöfe und Zeitschriftenläden im deutschsprachigen Europa ausgeliefert werden mussten.

Gegen 9.15 Uhr kamen dann die Kläuse. Klaus N. F. trug heute Schlaghosen, dazu Krokodillederschuhe, ein buntes Orangina-T-Shirt mit dem PERRY RHODAN-Logo und weiße Handschuhe. Klaus B. hatte heute seine engen Hosen im Chinchilla-Muster an, dazu hochhackige Schaftstiefel, ein weinrotes Rüschenhemd und wie immer zierten mächtige Rocker-Ringe seine muskulösen Finger.

Miriam wartete, bis die beiden die Tür zu ihrem Bürotrakt durchliefen. Sie drückte auf die Taste des CD-Players und schon erscholl die PERRY RHODAN-Hymne aus der Dolby-Surround-Anlage. In ihrer Aufmachung als Thora sah sie bestimmt hervorragend aus, als sie „Überraschung!“ rufend unter dem Schreibtisch hervorsprang und der Reihe nach die beiden Kläuse küsste.

Beide waren den ersten Moment sprachlos. Sie blickten durch den mit Früchstücksbuffet überladenen Raum, sahen die Ordnung und blickten dann bewundernd auf Miriam H. in ihrem eng anliegenden Thora-Kostüm, das durch die weiße Schminke im Gesicht und durch die engen, weißen Büffellederhandschuhe (es war ein Albino-Büffel gewesen) besser zur Geltung kam.

Klaus N. F. fand als erster wieder die Sprache zurück. Er blickte Miriam aus seinen gütigen Augen an und sagte nur leise „Aber Miriam, dasch wäre dosch nischt nötisch geweschen – du hascht dosch heute Urlaub!“. „Das habe ich ganz vergessen!“ flötete Miriam leise, während sie glücklich grinsend unter ihrer Schminke sanft errötete.

 

Miriam wurde vom Gesang der Vögel vor ihrem Fenster wach. Sie war am ganzen Körper schweißnass. „Urlaub, ich habe ja Urlaub!“, dachte sie bei sich. „Was für ein Alptraum!“

 

 

 

 


[

 


 

Kolumnen


Inhalt

Forum