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        Magi - Teambeitrag Pan-Demie 
 
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| EinführungWitz bedarf man auf 
		weiter Reise; Bevor wir uns jetzt 
		inhaltlichen Fragen zuwenden eine Anmerkung, die vielleicht nötig ist, 
		um das Folgende genießen oder überhaupt nur verstehen zu können: Ich 
		betreibe fast schon prinzipiell etwas, was zwischen „stand up Asatru“ 
		und „Da Da Delling-ismus“ stehen könnte. Verwirrung ist gewollt und 
		führt oft eher zum Ziel als langweilige Abhandlungen. Jetzt zum Thema. Die Grundlage für 
		jeden Glauben ist das Suchen nach letzten Antworten. Denn Fragen wie „Wo 
		kommen wir her?“, „Wo gehen wir hin?“ und „Was soll der ganze Mist hier 
		eigentlich?“ ziehen sich als roter Faden durch die Religions- und 
		Philosophiegeschichte der Menschheit. Und wie bei allen 
		letztendlichen menschlichen Fragestellungen geht es ebenso um Angst: Die 
		Angst vor dem Unbekannten, die Angst vor dem Tod, die Angst vor der 
		Einsamkeit. Diese Themen sind die Grundlage für die lebenslange Suche, 
		der sich ein Mensch unterzieht, der nach Antworten in Mythologie, Sagen 
		und Heidentum sucht – und dieser Weg unterscheidet sich wenig von dem 
		Weg desjenigen, der die Antworten in Wissenschaft und Forschung sucht. 
		Nur bei uns gibt es Met und Gesang dazu. Unser Leben von der 
		Wiege bis zur Bahre verläuft nicht sorgenfrei – es gibt immer wieder 
		„Störgeräusche“ in unserem Leben; Ereignisse, die uns dazu zwingen, 
		innezuhalten und darüber nachzudenken, was ist und was wichtig ist. 
		Diese Ereignisse – wie gesagt: Störgeräusche – treten normalerweise 
		nicht geballt auf, sondern einzeln und – wenn es gut läuft – zeitlich 
		über die Lebenszeit verteilt. Man kann nur 
		überraschte Geräusche machen, wenn man sich anschaut, was uns seit 
		anderthalb Jahren als Cocktail vom Schicksal oder Wyrd angeboten wird. 
		Denn kaum einem Thema ist es in den letzten Jahrzehnten so gut gelungen, 
		diese „Blumen des Bösen“ zu einem Strauß zu binden, der als 
		Gesamtkunstwerk trotzdem die einzelnen Aspekte erkennen lässt. Wir reden 
		aktuell in der Gesellschaft nicht nur über Sterblichkeit, Krankheit und 
		das Gesundheitssystem, nein, in die selbe Diskussion eingebunden finden 
		wir Themenstränge, in denen es um Datenschutz, Grundrechte, die Rolle 
		der einzelnen Elemente im Parlamentarismus und Kosten beziehungsweise 
		Korruption geht. Wir kennen diese 
		Einbrüche in unser alltägliches Leben eigentlich nur anders, mehr 
		blitzartig als einsickernd. Die Weltkriege sind Ausnahmen, ebenso 
		einzelne, als klare Einbrüche in die Normalität verstandene Einbrüche 
		von Angst in das Konzept des realen Lebens wie der Anschlag auf das 
		World Trade Center oder die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Aber da 
		Deutschland im ersten Weltkrieg „an den Fronten unbesiegt“ blieb, 
		führten die Nebeneffekte der Dolchstoßlegende in unserem deutschen, 
		historischen Befinden zwangsläufig dazu, dass die Gefahr, im eigenen 
		Haus durch den Krieg berührt zu werden, entweder durch tote Freunde oder 
		Verwandte an fernen Orten geschah oder im 2. Weltkrieg durch 
		Bombenangriffe. Erst die Eroberung Deutschlands durch die Alliierten im 
		2. Weltkrieg führte dazu, dass der Krieg auf dem Territorium 
		Deutschlands stattfand. Das war ein singulärer Angstfaktor, eine 
		nationale Katastrophe, die sich im Erleben der Menschen stark von den 
		„fernen Bedrohungen“ wie einem Anschlag in New York unterscheidet. Die Generation, die 
		ich repräsentiere, kennt die Angst im Krieg nicht mehr aus eigener 
		Anschauung, aber sie hat noch mit jenen zusammengelebt, welche diese 
		Angst mitgemacht und daher mitgebracht haben – so mein Lehrer, der sich 
		beim Sirenenton immer unter den Tisch warf, die einarmigen oder 
		einbeinigen Männer, die Kriegsblinden (wir hatten in den 80er-Jahren im 
		Sozialamt noch einmal im Jahr einen Tag zur Überprüfung des weiteren 
		vorhandenen Unterstützungsbedarfs von Kriegsblinden in Hinblick auf 
		inzwischen erfolgte Wunderheilungseffekte, liebevoll „Kriegsblindentag“ 
		genannt). Diese Erinnerungen 
		sind ein Teil meiner „seelischen DNA“ wie auch das unvermeidliche Erbe 
		meiner Alterskohorte. Die Generation, die nach uns kommt, kennt jenes 
		Flackern in den Augen des Anderen nicht, das mit existentieller Angst 
		verbunden ist – von daher ist es schon für uns Mit-50-er schwer, mit 
		Angst umzugehen, für die jüngere Generation fehlt die Erfahrung aus dem 
		eigenen Erleben. Auch deswegen wählte 
		ich als Titel ausdrücklich Pan-Demie, um die Widersprüchlichkeit des 
		Themas herauszuarbeiten. Der Gott Pan mag Musik und Tanz, aber er kann 
		auch Furcht auslösen, die Panik. Sich der Pandemie als Pan-Demie zu 
		nähern heißt auch, den Begriff auf seine Wurzeln zu reduzieren: „pan“ 
		für altgriechisch „gesamt“ und „demos“ als altgriechisch „Volk“, also 
		etwas was rein theoretisch eine ganze Bevölkerung erfasst. Ich möchte 
		versuchen, mich diesem Thema „faktenfrei“, also rein Vernunft-gesteuert 
		zu widmen. Dabei soll es nicht um die Frage gehen, ob es den Virus 
		wirklich gibt, ob es sich rein formal wirklich um eine (medizinische) 
		Pandemie handelt, ob die Impfungen wirken oder nicht wirken, ob die 
		Krankheit (soweit es eine ist) ansteckend ist oder nicht, ob Masken 
		gefährlich sind oder nicht oder ob es eine Übersterblichkeit gibt oder 
		nicht. Das alles sind Fragen, die überlasse ich Fachleuten – das ist ein 
		Ansatz, den wir Deutschen regelmäßig bei Fußballspielen und Katastrophen 
		vergessen, wenn dann gefühlt 96,3 % der Bevölkerung wahlweise zu 
		Fußballtrainern, Virologen oder Flutverhinderungsfachleuten mutieren. Alte SitteEine Esche weiß ich, 
		heißt Yggdrasil, den hohen Baum netzt 
		weißer Nebel; Davon kommt der Tau, 
		der in die Täler fällt. Immergrün steht er 
		über Urds Brunnen. Davon kommen Frauen, 
		vielwissende, Drei aus dem Saal 
		dort unterm Wipfel. Urd heißt die eine, 
		die andere Werdandi: Sie schnitten Stäbe, 
		Skuld hieß die dritte. Sie legten Lose, das 
		Leben bestimmten sie Den Geschlechtern 
		der Menschen, das Schicksal verkündend. Aus der Wolüspa „Der 
		Seherin Gesicht“ Eine der Stärken des 
		modernen Asatru – oder der Alten Sitte für jene, welche diesen Begriff 
		lieber mögen – ist die Umsetzung des Kults von als archaisch zu 
		bezeichnenden heidnischen Gottheiten im Kontext der modernen Welt. Diese 
		Umsetzung hakt an vielen Stellen, wie auch die Umsetzung anderer 
		Religionen, die über eine durchgängige Tradition verfügen, hakt. Natürlich verfügen 
		weder die drei abrahamitischen Buchreligionen noch schamanische 
		Traditionen oder irgendwelche indigenen Religionen über vorgefertigte 
		Antworten für die Fragen der Gegenwart. Die Bibel, der Koran, der 
		Talmud, sie alle enthalten keine Hinweise auf das „World Wide Web“, es 
		fehlen Lösungen für die Fragen der Umweltverschmutzung und der globalen 
		Erwärmung oder Hinweise zum Umgang mit der Frage, wie man mit jenen 
		umgeht, die sich einen Aluhut überstreifen und wissenschaftliche 
		Erkenntnis – oder sogar Erkenntnis allgemein – leugnen. Und dieses 
		Leugnen beziehe ich jetzt überhaupt nicht auf das Thema des Vortrags, 
		sondern denke einmal an jene, die an eine flache Erde, eine Hohlwelt 
		oder die durch ihre Herkunft aus dem Nordpolarmeer begründete 
		Überlegenheit einer „arischen Rasse“ genannten Gruppierung glauben. Wie sieht es denn 
		aus mit der Vernunft? Gerade das Christentum als von uns einfach zu 
		beobachtende Religion versagt hier konsequent, weswegen hier auch keine 
		Antworten auf die drängenden Fragen zu erwarten sind. Abgesehen von 
		einem Schmusekurs gerade der evangelischen Kirche mit der 
		Friedensbewegung, der Ökobewegung und dem Feminismus fehlt hier eine 
		inhaltliche Auseinandersetzung völlig, die auch nicht zu erwarten ist, 
		weil der Versuch einer Deutung von Krisen und der Diskussion von 
		Krisenbekämpfung dazu führt, dass man Diskussions- und Fragetechniken 
		erlernt, deren Anwendung auf die Lehre selbst nicht gewünscht sein kann. 
		Nicht nur die Frage nach der jungfräulichen Empfängnis oder Geburt, die 
		Problematik der Wandlung von Wasser in Wein oder die historische 
		beziehungsweise ahistorische Grundlage der Figur Jesu führten in den 
		letzten Jahrhunderten zur hitzigen Diskussionen, die man 
		kirchlicherseits meist dadurch löste, dass man die sogenannten Ketzer 
		zur Weiterverwertung dem Feuer, dem Wasser oder der Erde übergab. Die Stärke der 
		heidnischen Bewegung ist es gerade, dass wir viele Diskussionen das 
		erste Mal führen müssen, weil wir eben keinen Dogmen und Normen haben, 
		welche das Diskutieren von „riskanten Themen“ vermeiden, aber genauso 
		wenig über Amtsträger verfügen, die mit einer göttlichen Legitimation 
		Papst-gleich Antworten „ex cathedra“ formulieren, die dann für alle 
		Religions-Angehörigen verbindlich sind. Wir sind gezwungen, in einem oft 
		schmerzhaften Prozess gemeinsam Fragen zu formulieren und Antworten zu 
		suchen, um dann wiederum gemeinsam eine Umsetzung der oft nur „gefühlt“ 
		vorhandenen heidnischen Grundlage in Handlungsempfehlungen oder 
		-anweisungen zu erarbeiten. Noch einmal: Es gibt 
		keine heidnischen Mandatsträger, die uns Fragen beantworten müssen oder 
		gar könnten, es gibt keine „wahre Lehre“ und keinen 
		Allgemeinvertretungsanspruch des „Eldaring“, der – zum Glück – frei ist 
		von einem allgemeinpolitischen Mandat. Noch weniger als die „Alte Sitte“ 
		könnte der „Eldaring“ in Lebensbereiche hinein Auslegungen liefern oder 
		Anweisungen verfassen, wenn diese Lebensbereiche traditionell dem 
		Zugriff des heidnischen Weltbilds entzogen sind. Oder andersherum: 
		Heidentum ist eine Querschnittsbetrachtung, die in alle Lebensbereiche 
		hineinwirkt, aber sie weder alle kontrolliert noch definiert. Dazu kommt, dass in 
		einer Götterwelt, die Loki zulässt und braucht, Widerspruch möglich und 
		gewollt ist – sicherlich eine der Stärken des modernen Asatru. Beide Seiten der MedailleDer Hinkende reite, 
		der Handlose hüte, Der Taube taugt noch 
		zur Tat. Blind sein ist 
		besser als verbrannt werden: Der Tote nützt zu 
		nichts mehr. Havamal „Des Hohen 
		Lied“ In meiner Welt gibt 
		es bei den Impf-Diskussionen keine moralischen Sieger, die – ob jetzt 
		Verlierer oder Gewinner in der Auseinandersetzung über die Impfung – mit 
		dem Gefühl das Schlachtfeld verlassen können, dass sie sich selbst treu 
		geblieben sind und dafür gesorgt haben, dass ihre ethischen, moralischen 
		und/oder demokratischen Grundsätze durch das extensive Vorleben 
		derselben dazu geführt haben, dass die Gegenseite nicht überzeugt, aber 
		immerhin beeindruckt ist. Das Gegenteil ist passiert. Im Kontext der 
		Pandemie-Diskussionen kann man nur darüber erstaunt sein, dass dieselben 
		Massen, die sich jetzt zum Thema zu Wort melden und ihre 
		Befindlichkeiten kommunizieren, immer dann geschwiegen haben, als es um 
		Genitalverstümmelung, Kinderehen, Kindesmissbrauch, die Ablehnung von 
		Bluttransfusionen durch die Zeugen Jehovas und die damit verbundene 
		Müttersterblichkeit bei der Geburt oder um Übergewicht bei Kindern ging. Und eines muss klar 
		sein: In den letzten Monaten im Zusammenhang mit der Pandemie 
		angestellte Vergleiche mit dem Judenstern, dem III. Reich oder dem 
		Holocaust sind nicht nur geschmacklos, sondern einfach falsch. 1987 war 
		ich auf dem Kirchentag in Frankfurt als Übersetzer für die damalige 
		Leiterin der Organisation der Mengele-Zwillinge, Vera Kriegel, 
		eingeplant. Die Tage mit ihr waren für mich – damals 23 Jahre alt – das 
		blanke Grauen, weil ich von morgens früh bis abends spät Veranstaltungen 
		zum Holocaust mit Zeitzeugen besuchen musste, um mich dann als einzigen 
		Ausweg aus meinem seelischen Dilemma abends mit Wodka abzuschießen. 
		Hätte ich 1987 Vera Kriegel erklärt, dass keine 40 Jahre später Menschen 
		sich als Opfer definieren und dazu in Begriffen wie Faschismus und 
		Holocaust sprechen, die sich bis vor wenigen Tagen mit kostenfreien 
		Tests und einfach nur mit Mehraufwand um eine Impfung per Spritze hätten 
		„drücken“ können, dann wäre sie ausgerastet. Judensterne, Todesspritzen 
		a la Mengele, Selektionen an der Rampe – all das sind Begriffe, die man 
		aus der Impfdiskussion heraushalten sollte, wenn man ernstgenommen 
		werden will. Die „Nazi-Keule“ greift in jeder Diskussion – der Vergleich 
		mit den Nazis führt dazu, dass eine Diskussion nicht mehr sachlich zu 
		führen ist. Einen weiteren 
		Wunsch hätte ich noch: dass nur jene Menschen sich auf „Schöne neue 
		Welt“ und „1984“ beziehen, die wenigstens mal einen Blick in eines der 
		Bücher geworfen haben und nicht nur in eine Verfilmung mit Eurythmics-Klängen 
		oder die Kurzbeschreibung im Feuilleton kennen – so viel Liebe hat die 
		als Utopie getarnte Science Fiction auf jeden Fall verdient, dass man 
		sie wenigstens ehrlich zitiert. Themenwechsel. Ich selbst leide an 
		einer Krankheit, die mich zwingt, regelmäßig TNF-alpha-Blocker zu 
		spritzen. An dieser Stelle verzichte ich auf einen langen, medizinischen 
		Monolog – aber aus Eigeninteresse beschäftige ich mich mit meiner 
		Erkrankung und der Gefahr, die für mich davon ausgeht, dass ich mich 
		impfen lasse oder nicht impfen lasse und mit einer Gesellschaft 
		konfrontiert bin, welche die für mich wünschenswerte Herdenimmunität 
		nicht erreicht. Aber meine Erfahrung lehrt, dass es bei vielen 
		Diskussionen nicht um jene geht, die wir schützen müssen, weil sie nicht 
		geimpft werden können, sondern es geht um die Angst jener, die geimpft 
		werden könnten – und damit sind wir wieder beim einleitenden Passus, 
		nämlich nahe der Frage nach den letztendlichen Fragen, die jede Religion 
		für ihre Gläubigen beantworten muss, weil sie Kern einer jeden 
		„Verkündung“ sind. Ich wähle diesen Ausdruck „Verkündung“ absichtlich, 
		weil Neuheidentum für den einzelnen zwar auch im eigenen Suchen 
		auffindbar ist – was gerade Asatru von vielen anderen Gruppen 
		unterscheidet, denn diese „Sinnsuche“ führt dazu, dass wir erstaunlich 
		viele unfassbar reflektierte Mitglieder haben –, wir als Gruppe aber im 
		Innenverhältnis schon an einem ständigen „Input“ interessiert sind, der 
		aktuelle Entwicklungen für die Gruppenmitglieder „herunterbricht“. Wir sind eine 
		lernende Religion, keine lehrende Religion. Wir missionieren nicht und 
		werden auch ungerne missioniert. Jetzt muss ich doch 
		mal eine Lanze für die Impfgegner brechen: egal, was von „denen“ in den 
		letzten Monaten gesagt oder getan worden ist, diesen beschämenden Umgang 
		mit einer „Minderheit“ haben sie nicht verdient. Eines muss klar sein: 
		egal, was ich eben beschrieben habe, dies heißt nicht, dass ich auf der 
		Seite der „Imfpluencer“ bin. Die moralische Überheblichkeit, die bei 
		diesen aktiven Impfungs-Befürwortern aus den Poren strahlt, erklärt sich 
		mir nur damit, dass hier ein in den letzten 30 Jahren schmerzhaft in 
		viele Bereiche der gerade linken Politik eingezogener Weltretter-Ansatz 
		mit einem Gefühl eine Verbindung eingeht, das den Impfungs-Befürwortern 
		den Glauben vermittelt, nach Klimakrise und Neo-Liberalismus endlich 
		einmal „das Richtige“ zu tun. Mir juckt es immer 
		in den Fingern, einen „Impfluencer“ zu fragen, ob er regelmäßig zur 
		Krebsvorsorge geht, sich gesund ernährt und sich regelmäßig bewegt – nur 
		die Frage nach dem Tabakkonsum stelle ich nicht, weil ich finde, dass 
		man das Recht hat, Fehler zu machen, wenn man sie reflektiert. Aber ich frage nicht 
		nach diesen Dingen, weil ich es für sinnlos halte. Alle von der 
		Richtigkeit ihres Tuns überzeugten Menschen sind gefährlich, weil ihr 
		eigener Echoraum eben ihr eigener Echoraum ist – und wenn man den 
		zerstören will oder auch nur bedroht, werden sie aggressiv, wobei diese 
		Aggressivität aus Angst geboren ist. AngstgegnerLieder kenn‘ ich, 
		die kann die Königin nicht Und keines Menschen 
		Kind … Hilfe heißt eins, 
		denn helfen mag es In Streiten und 
		Nöten und in allen Sorgen. Ein andres weiß ich, 
		des alle bedürfen, Die heilkundig 
		heißen. Havamal „Des Hohen 
		Lied“ „Die Zaubersprüche“ Man darf eigentlich 
		nur für eine Sache dankbar sein: Zu keiner Zeit gab es eine neue Version 
		der krebsheilenden „germanischen neuen Medizin“ oder genauso irrwitzigen 
		„germanischen Medizin“, welche den Versuch unternommen hätte, aus sich 
		selbst heraus oder mit Runengesang Corona zu heilen. Ich muss es 
		wiederholen: Man kann nur dankbar sein, dass niemand behauptet hat, 
		Arier/Weiße/Runenyoga-Praktiker wären vor Corona sicher, weil nur das 
		germanische Blut/der germanische Glaube/geweihte Wohnungen gegen Viren, 
		Erreger oder andere erfundene oder nicht erfundene Krankheitserreger 
		gefeit sind. Überhaupt hat sich 
		im ganzen Bereich der Esoterik – soweit ich das überschauen kann, und 
		ich überschaue neugierhalber sehr viel – keiner richtig getraut, für 
		Patienten auf Intensivstationen (und solche gibt es und gab es ohne 
		Corona) von Jungfrauen besungene Kristalle zu verkaufen, die durch ihre 
		achtdimensionalen Schwingungen böse Einflüsse zerlegen und dafür sorgen, 
		dass diese sich unter Zurücklassung des Geruchs nach Vanillekipferln in 
		Logikwölkchen auflösen, die nicht mehr gefährlich sind. Es gab keine 
		Angebote für Schmuckstücke, deren Kernstück aus der Weltraumforschung 
		stammt, schon einmal mit einer Rakete im All waren und durch die dort 
		herrschende Querionen-Strahlung so bedampft worden sind, dass täglicher 
		Kontakt zur Körperoberfläche dazu führt, dass Krankheiten wahlweise 
		ausgebrannt werden oder von einem mythisch-magischen Schutzschild 
		abgehalten werden. Kein Schamane reiste zu seinem Kraft-Virus, um danach 
		gegen diesen zur Hilfe Schutzengel aus Atlantis zu beschwören, die mit 
		homöopathischen Tropfen und Chakren-Öl heilen oder wenigstens eine 
		positive Wiedergeburt einleiten. Noch einmal: wir 
		können dafür dankbar sein, dass uns keiner der üblicherweise 
		auftretenden Spinner als Asatru völlig in den Strudel der 
		Bedeutungslosigkeit mitgezerrt hat, weil er oder sie oder es mit Runen 
		oder ähnlichem nordisch-germanischem Klimbim Corona heilen will. Ich 
		hatte kurz Angst vor einem Videokanal, wo bekannte Schamanen nach der 
		Heilung des Hakenkreuzes nun die Pandemie heilen. Oder wahlweise 
		befürchtete ich eine andere Berichterstattung über den unseligen QAnon-Schamanen, 
		der immerhin einige Symbole trug, die man Asatru zuordnete. 
		Glücklicherweise konnte man aus dem Gesamtzusammenhang schlussfolgern, 
		dass der sogenannte Bison-Mann nicht alle Murmeln im Beutel hat. Mythische VerbindungenAstrunen kenne, wenn 
		du Arzt willst sein Und Wunden wissen zu 
		heilen. In die Rinde ritze 
		sie und das Reis am Baum, Wo ostwärts die Äste 
		sich wenden. Sigrdrifumal „Das 
		Lied von Sigrdisa“ An dieser Stelle 
		vertue ich jetzt eine Gelegenheit, mich als Supergode ins Gespräch zu 
		bringen, weil ich eben auf eine „Edda“-Auswertung verzichte, in der ich 
		mit Quellen-schändender Sorglosigkeit an den Haaren herbeigezogenen 
		Vergleich neben an den Haaren herbeigezogenen Vergleich stelle, um dann 
		mit Verweisen auf finnische, sibirische, aztekische, karthagische und 
		irische Quellen Parallel-Überlieferungen heranzuziehen und aus diesen 
		dann zu folgern, dass der Kampf gegen den Virus dem Ostwestfalen schon 
		immer im Blut lag, mein Schlachtruf wäre dann logischerweise „Virus, 
		Virus, gib mir meine Legionellen wieder!“. Ich gebe zu, dass Vornamen 
		wie der meinige zu so etwas verleiten. Aber all das tue ich 
		nicht, sondern ich möchte nur drei Hinweise kurz loswerden, um meine 
		bisherigen Schilderungen in einen mythologischen Kontext einzupassen. Erstens können wir 
		uns kaum darüber beschweren, dass – wie immer wieder diskutiert – ein 
		Tier-Mensch-Übergang Corona erst verbreitet hat. Die Zahl der göttlichen 
		Wesen in unserer Mythologie, die mit Tieren und/oder unterschiedlichen 
		Geschlechtspartnern mit wechselnden sexuellen Identitäten 
		Körperflüssigkeiten austauscht, ist sehr hoch, hier sollten wir uns 
		vielleicht eher bedeckt halten. Zweitens ist der 
		Strohtod, eben jener Tod, der nicht im Kampf erfolgt, dem Asatru ein 
		Gräuel. Natürlich sind wir trotzdem in der Überzahl übergewichtig, 
		unsportlich und unbewaffnet, aber man darf ja träumen, aber realistisch 
		sollte man sich vor Augen halten, dass der Tod im Kampf für einen 
		Menschen für heute in Mitteleuropa aktuell eher unwahrscheinlich ist, 
		wenn die Zombie-Apokalypse nicht erfolgt. Drittens sollten wir 
		nie vergessen, dass unsere Stärke auf den Taten von und Geschichten über 
		„behinderte Götter“ beruht. Der Einsatz von Körperteilen als Pfand 
		spielt mit der Gesundheit oder gar Leben des Gottes, der etwas opfert, 
		um etwas zu erlangen – analog zu der Asatru-Fragestellung „wem opferst 
		du“ statt des verbreiteten mitteleuropäischen „an wen glaubst du“. Unsere Götter sind 
		divers und sie sind ohne Angst, wenn es um körperliche Benachteiligungen 
		geht – denn zu denjenigen, die selbst „verstümmelt“ sind kommen alle 
		jene, die trotzdem mit einem (oder mehreren) von ihnen Sex haben. Da 
		kommt schon was zusammen in der Menge. Das liegt daran, dass wir es hier 
		mit einem toleranten Pantheon zu tun haben, das in seiner geschilderten 
		Entwicklung Bündnisse und Verträge immer wieder neu verhandelt, wenn 
		auch zum Teil – wie man aus den vielen Rätselsprüchen lernt – in einem 
		lebensgefährlichen Diskurs. FazitDas rat‘ ich dir 
		neuntens, nimm dich des Toten an, Wo du im Feld ihn 
		findest, Sei er siechtot oder 
		seetot Oder am Stahl 
		gestorben Sigrdrifumal „Das 
		Lied von Sigrdisa“ Mein Ziel war die 
		Anregung zum Nachdenken entlang von bisher nicht beachteten 
		Wegmarkierungen. Dabei waren zwei Dinge vorher klar: Weder Medizin noch 
		Politik sind Fachgebiete des Asatru. Ich kann nur eine 
		Diskussion anregen, in der es um die Frage geht, welchen Bereichen und 
		Fragestellungen wir uns in den nächsten Jahren zuwenden müssen. Die 
		Schließung der christlichen Kirchen während der Pandemie, der völlig 
		Rückzug dieser aus Verkündung und Seelsorge hat bewiesen, dass diese 
		Felder von den Kirchen längst nicht mehr „bespielt“ werden, sonst hätte 
		ihr Rückzug aus ihnen mehr Ärger ausgelöst. Diesen Ärger gab es aber 
		nicht. Das heißt jetzt 
		nicht, dass wir diese Lücke füllen sollen – immer daran denken: wir 
		missionieren nicht, wir werden gefunden. Aber wir können beobachten, 
		dass hier von den Kirchen geräumte Themenfelder liegen, die wir selbst 
		„beackern“ müssen. Da wären zum Beispiel die Seelsorge bei Krankheit und 
		die Sterbebegleitung zu nennen, der Umgang mit Trauer und Tod samt 
		Organisation von heidnischen Beerdigungen. Wir hatten Glück: Es konnte 
		hier zu keinem Vertrauensverlust in die „Alte Sitte“ kommen, weil wir 
		vorher hier nicht präsent waren. Aber wenn wir uns jetzt nicht 
		vorbereiten, dann stellen wir uns der Verantwortung nicht, beim ersten 
		Tod in unseren Reihen im Rahmen der Pandemie in der Lage zu sein, auf 
		diesen Tod zu reagieren. Wir brauchen Rituale – und dankenswerterweise 
		haben wir als „Eldaring“ gerade in diesen Tagen ein „Ritualbuch“ 
		veröffentlicht, das ich für einen unverzichtbaren ersten Schritt in 
		diese Richtung halte. Ebenso brauchen wir 
		eine Diskussion über unsere Erwartungen an das Nach-Leben. Auf der einen 
		Seite praktizieren wir eine Ahnen-zentrierte Religion, die wir immerhin 
		schon so weit definiert haben, dass es nicht nur um persönliche Ahnen 
		geht, sondern um eine „Ahnenfeld-Erweiterung“ auf Vorbilder, Vorfahren 
		und Vorgänger. Aber die Integration von akut Verstorbenen in das 
		Ahnenfeld verändert die Wahrnehmung dieser von einer abstrakten zu einer 
		realen Gruppe; mit dieser Veränderung müssen wir uns beschäftigen, bevor 
		sie geschieht. Und wir brauchen 
		Verträge miteinander – Patientenerklärungen, Vollmachten, Testamente, 
		aber auch eine Einigung über den Zusammenhang von Schweigepflicht und 
		Seelsorge gekoppelt an die Frage, ob wir hier eigene Begrifflichkeiten 
		entwickeln müssen, um uns selbst positiv zu definieren. Auf Isländisch heißt 
		Seelsorge Sálgæsla, Schweigepflicht (eigentlich: Vertraulichkeit) heißt 
		Trúnaður. Das mag jetzt lächerlich oder respektlos klingen, ist aber 
		tatsächlich positiv gemeint. Wir müssen uns nicht abgrenzen vom 
		Christentum, wir müssen deren Begriffsfestlegungen eingrenzen und selbst 
		Dinge aktiv definieren und formulieren, wenn wir eine zukunftsfähige 
		Religion von gesellschaftlicher Bedeutung werden wollen. Wenn wir 
		wollen, dass unsere Kinder und alle, die nach uns kommen, eine 
		zukunftsfähige Glaubensgemeinschaft erben, dann müssen wir uns jetzt 
		bewegen, weil die Gegenwart unserer Kinder ist unsere Zukunft. Und abschließend: 
		Wir dürfen nicht aufhören, miteinander in der Auseinandersetzung zu 
		bleiben. Wir sind als aktive Glaubensgemeinschaft zu jung, um schon 
		alles geklärt zu haben – und wo gehobelt wird, da fallen Späne. Ein paar Beispiele. Wie gehen wir mit 
		der Frage von Erwerb beziehungsweise der Gefahr von Arbeitslosigkeit um? 
		Welche Rolle spielt eine erfüllende Beschäftigung für unser Weltbild und 
		was sind wir bereit zu tun, um sie zu garantieren? Unterwerfen wir uns 
		dem Staat und beugen wir – wie andere Religionsgemeinschaften – den 
		Nacken oder gibt es Themen, bei denen wir uns wehren müssen, weil sie 
		Kernbereiche der „Alten Sitte“ berühren oder gar bedrohen? Als letztes die 
		Frage nach den letzten Dingen, nämlich jene, die nach dem „wie wollen 
		wir leben“ kommen muss: Wie wollen wir sterben? Wie möchten wir in 
		Erinnerung bleiben? Wie stellen wir uns das Alter vor? Ist unser Ziel 
		eine gemeinsame Wohngemeinschaft auf einem großen Hof, wo 40 Heiden 
		gemeinsam leben, jede Woche sumbeln und bloten, den Rest der Woche 
		schaut man gemeinsam Spiele-Shows oder spielt „Mau Mau“ im 
		Gemeinschaftsraum? Oder melden wir uns alle mit 65 bei der 
		Fremdenlegion, um im Kampf und damit analog zu einem brennenden 
		Wikingerschiff unterzugehen? Egal wie wir sterben 
		– wie stellen wir sicher, dass die Nachricht von unserem Tod und unsere 
		Wünsche zur Trauerfeier an jene kommuniziert werden, die wir vielleicht 
		nur bei größeren Treffen sehen, die aber trotzdem für unsere heidnische 
		Herzensangelegenheit von größter Bedeutung sind? Ich habe nicht auf 
		viele Fragen allgemeingültige Antworten. Aber ich werfe meinen Hut in 
		den mit blutigen Sägemehl gefüllten Ring der Diskussionsteilnehmer, um 
		anzuzeigen, dass ich mich der Auseinandersetzung stelle. Und um es 
		abschließend noch einmal klar zu sagen: Ich bemitleide jene, 
		die glauben, sie hätten Antworten, die sich aber noch nicht einmal 
		einigen können, wie die Frage heißt. Ich bemitleide jene, 
		die an mutige Gottheiten glauben, aber dem anderen nicht ins Gesicht 
		sagen können, was sie von ihm halten, und dies lieber online und/oder 
		hinter dem Rücken tun. Ich bemitleide jene 
		die glauben, dass Corona das Thema der letzten Monate war. Viel 
		interessanter ist doch die Frage, über was wir nicht geredet haben, was 
		nicht berichtet wurde und: Wem nützt es? Enden möchte ich, 
		wie ich angefangen habe: mit dem Havamal: Witz bedarf man auf 
		weiter Reise; Daheim hat man 
		Nachsicht. Zum Augengespött 
		wird der Unwissende, Der bei Sinnigen 
		sitzt. Havamal „Des Hohen 
		Lied“ Hermann Ritter AnmerkungenAlle „Edda“-Zitate 
		nach Neckel, Prof. Dr. G. (Hrsg.) „Die Edda übertragen von Karl Simrock“, 
		Berlin, 1927 
 
 
 
   
 
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