Homo Magi - Teambeitrag

Lords of Chaos

verfasst von Michael Moynihan
und Didrik Søderlind;
416 Seiten;
Prophecy Productions, 2002

Incl. Aktualisierungen vom März 2009

„Satanischer Metal: der blutige Aufstieg aus dem Untergrund“ lautet der Untertitel des Buches. Das Vorwort erläutert jedoch, worum es genauer geht: um Geschichte und Hintergründe des Black Metal. Die Originalausgabe erschien 1998, doch das deutsche Redaktionsteam hat das Buch an einigen Stellen sorgfältig aktualisiert und ergänzt, so dass man ein aktuelles Werk in den Händen hält. Update: 2007 erschien eine weitere Neuausgabe.

„Lords of Chaos“ beginnt mit einer historischen Einleitung, die sich mit den Vorläufern des Black Metal befasst. Erwähnt wird dabei der bekannte Bluesmusiker Robert Johnson, der angeblich seine Seele dem Teufel verkauft haben soll. Danach kommt zur allgemeinen Überraschung ein „alter Bekannter“, der berühmt-berüchtigte Okkultist und Magier Aleister Crowley, Schöpfer des nach ihm benannten Tarots. Seine Werke beeinflussten den britischen Filmemacher Kenneth Anger, der seinerseits zwei bekannte Musiker inspirierte: Mick Jagger (Rolling Stones) und Jimmy Page (Led Zeppelin). Unter Angers Einfluß schrieb Jagger den berühmten Song „Sympathy for the devil“, heute einer der Stones-Klassiker. Jimmy Page wiederum wurde ein leidenschaftlicher Sammler von Crowley-Manuskripten und erwarb den Landsitz Boleskine, gelegen am Loch Ness, der früher Crowley gehört hatte. Natürlich darf in dieser Liste eine weitere Band nicht fehlen: Black Sabbath, Mitbegründer des Heavy Metal, die eine Zeitlang als DIE satanische Band par Excellance galten. Black Sabbath wiederum beeinflusste die ersten direkten Vorläufer des Black Metal, die britischen Bands Venom, Bathory und Mercyful Fate. Aber außer King Diamond, dem Leadsänger von Mercyful Fate, war keiner der beteiligten Musiker ein ernsthafter Satanist. King Diamond wiederum berief sich auf Anton Szandor LaVey, den Gründer der kalifornischen „Church of Satan“.

Während also die britischen Bands das Thema Satanismus eher unernst behandelten, fiel ihre Musik in Norwegen auf fruchtbaren Boden. Hier beginnt der Hauptteil des Buches: die Entstehung und die Geschichte der norwegischen Black Metal-Szene. Die Autoren haben jede Menge Interviews zusammengetragen. Danach bildete sich die norwegische Szene um die Band Mayhem herum, deren Gitarrist Øystein Aarseth alias „Euronymous“ gleichzeitig den Osloer Metal-Plattenladen „Helvete“ (auf deutsch: Hölle) betrieb. „Helvete“ wurde zu einem Mittelpunkt der schnell wachsenden Schar von Black Metal-Anhängern. Euronymous wurde zu einer zentralen Figur der Szene, die sich mehr und mehr ernsthaft mit „Umkehrung des Christentums“, was sie als Satanismus ansahen, beschäftigten.

Doch die Szene beließ es nicht bei Worten. 1992 wurde Norwegen von einer Reihe von Brandstiftungen an Kirchen erschüttert. Meistens waren es hölzerne Kirchen („Stabkirchen“), einige von ihnen (etwa die Stabkirche in Fantoft) waren berühmte Kulturdenkmäler. Der Hauptverdächtige im Falle von Fantoft war ein gewisser Kristian „Varg“ Vikernes alias „Count Grishnackh“, Gründer der Band Burzum. Dazu kam noch ein Mord an einem Osloer Homosexuellen im gleichen Jahr, verübt von Bard Eithun, ebenfalls Mitglied der Black Metal-Szene. Durch diese Taten – und durch ein leichtfertiges Interview, das Varg Vikernes im Januar 1993 einem Journalisten gab – rückte die Black Metal-Szene plötzlich ins Licht der norwegischen Öffentlichkeit. Sogar im Ausland nahm man davon Notiz, so wurde Varg Vikernes auf dem Titelbild der britischen Mainstream-Musikzeitschrift Kerrang! abgebildet, mit der plakativen Überschrift versehen „Arson...Death...Satanic Ritual: The ugly truth about Black Metal“ („Brandstiftung...Tod...Satanische Rituale: die hässliche Wahrheit über Black Metal“). Anfang Juni 1993 erreichte die Spirale aus Brandstiftung und Gewalt einen traurigen Höhepunkt: zusammen mit zwei Komplizen ermordete Varg Vikernes Øystein Aarseth. Alle Beteiligten kommen in „Lords of Chaos“ mit ausführlichen Interviews zu Wort; wobei die Darstellung des Tathergangs widersprüchlich bleibt. Im folgenden Mordprozeß gelang es Varg Vikernes, sich fast perfekt zu produzieren, auf eine Art und Weise, die Parallelen zu Charles Manson aufwies. Dabei schockte er mehrmals im Laufe der Gerichtsverhandlung durch Zeigen des Hitlergrußes, was für die Presse ein gefundenes Fressen war. Als Ergebnis des Prozesses wurde Varg Vikernes zu 21 Jahren Haft verurteilt. Update: Am 12. März 2009 wurde Varg Vikernes aus der Haft entlassen.

Während des Prozesses wandte sich Vikernes vom Satanismus ab und zu einer Mischung aus „Heidentum“ und Faschismus hin. Vikernes´ Ansichten sind in mehreren Interviews, die Didrik Søderlind, einer der Autoren des Buches, mit ihm führte, deutlich nachzulesen. Diese Interviews wurden im Abstand von mehreren Jahren gemacht und geben somit in gewisser Weise Vikernes´ Entwicklung wieder. In den ersten Interviews berief er sich noch auf den norwegischen Politiker Vidkun Quisling, der in den Vierziger Jahren ein nazifreundliches Regime in Norwegen errichtete und dafür 1945 hingerichtet wurde. Quisling entwarf eine esoterisch-philosophische Lehre namens Universalismus, die pikanterweise auf dem Christentum basiert – was Varg Vikernes im Interview allerdings energisch bestreitet, da er das Christentum vehement ablehnt. In einem neuen Interview aus dem Jahre 2000 hat Vikernes sein Weltbild um esoterische „Nazi-UFOlogie“ erweitert, die stellenweise stark an Jan van Helsings Werke erinnert.

Bedenklich ist, dass Vikernes inzwischen den Schulterschluß mit der rechtsradikalen Szene vollzogen hat. Ein Teil der Black Metal-Szene ist ihm dabei gefolgt. Durch Vikernes wurden u.a. ein Zirkel im thüringischen Sondershausen beeinflusst, um die Band Absurd herum, die von Hendrik Möbus geleitet wurde. Dieser Zirkel kam im April 1993 zu einer ähnlich traurigen Berühmtheit wie Vikernes, indem sie, angeführt von Möbus, den 15jänrigen Gymnasiasten Sandro Beyer ermordete, was als „Satansmord von Sondershausen“ durch die Medien ging. Diese Tat ist im Buch ausführlich dokumentiert, wobei klar wird, dass der sog. „Satansmord“ in Wahrheit ein Mord infolge  persönlicher Konflikte war, was Hendrik Möbus in einem Interview auch explizit darlegt. Dasselbe Interview zeigt auch, dass Möbus eine ähnlich krause Weltsicht vertritt wie Vikernes. „Lords of Chaos“ verschweigt auch nicht, dass Möbus selbst in der Haft fast ungehindert „Absurd“-Aufnahmen erstellen konnte. Ebenso wird dokumentiert, dass Möbus nach seiner Haftentlassung in die USA floh und dort um politisches Asyl (!) nachsuchte, da er in Deutschland politisch verfolgt werde. Dabei wurde er durch die rechtslastige National Alliance unterstützt. 2001 wurde sein Asylantrag aber abgelehnt und Möbus nach Deutschland abgeschoben, wo er seitdem in Haft sitzt. Auch haben die norwegischen Kirchenbrandstiftungen in Deutschland einige Nachahmer gefunden.

In weiteren Kapitel beschreibt „Lords of Chaos“ die weltanschauliche Entwicklung der übrigen Black Metal-Szene nach dem Tod von Euronymous. Die meisten haben den oben skizzierten „primitiven Satanismus“ hinter sich gelassen. Ein Teil hat sich  dem „modernen Satanismus“ eines LaVey angenähert, ein anderer Teil hat sich „echten“ nordischen Heidentum (echt, weil ohne rassistische „Beimischungen“) zugewandt. Viele Black Metaller sehen sich heute als Asatrù. Die allermeisten von ihnern haben mit Gewalttaten wie Brandstiftung und Mord nichts am Hut. Die letzten Kapitel des Buches berichten über die Black Metal-Szene in anderen Ländern, wobei auch hier stellenweise Verflechtungen zwischen Teilen der Black Metal-Szene und den Rechten bestehen.

Fazit: „Lords of Chaos“ ist eine hervorragende Arbeit. Die Geschichte und die Hintergründe des Black Metal werden hervorragend erläutert; viele Interviews geben die Meinung ehemaliger und aktiver Mitglieder der Szene ungeschminkt und unzensiert wieder, wobei diese Interviews teilweise nichts für zartbesaitete Gemüter sind (was angesichts des „finsteren“ Themas nicht gegen, sondern eher für das Buch spricht). „Lords of Chaos“ zeigt die oftmals erschreckende Verflechtung eines Teils der Black Metal-Szene mit der rechten Szene auf, insofern .leistet das Buch wichtige Aufklärungsarbeit. Aber dennoch zeichnet es (das Buch) von der Szene ein differenziertes Bild, das vollständig auf Effekthascherei und Sensationslust verzichtet. Auch wurden eine Reihe von Interviews mit Außenstehenden (Theologen, Polizisten, Augenzeugen) geführt, die oftmals überraschende Einsichten ermöglichen. Der Zusammenhang zwischen der „politisch hyperkorrekten“ norwegischen Gesellschaft der Achtziger Jahre und ihrem „schwarzen Spiegelbild“, der Black Metal Szene, wird ebenfalls angerissen. Dadurch wird es aber auch ein anspruchsvolles Buch. Fast nichts wird „vorgekaut“, der Leser muß, insbesondere bei den Interviews, selbst mitdenken. Für alle, die ernsthaft am Thema Black Metal oder okkulte Musik interessiert sind, ist „Lords of Chaos“ ein Muß.

 

Volkmar Kuhnle, Dezember 2002

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Nachtrag Januar 2003: Inzwischen habe ich festgestellt, dass Michael Moynihan mit dem Musiker Michael Moynihan von Blood Axis identisch ist. Moynihan hat mehrfach sehr fragwürdige Ansichten vertreten. Über ihn berichtete die taz am 30.11.2002 im Artikel „Satans Kirchen brennen“ (Autor Lars Brinkmann):

„Die gemeinsame Bewunderung für Charles Manson führte ihn[Moynihan, AnmdVK] z. B. mit James Mason zusammen, dem ehemaligen Mitglied der American Nazi Party und exzentrischen Kopf der National Socialist Liberation Front. Moynihan ediert und veröffentlicht ein Buch mit Masons gesammelten Schriften, um sich in der Folge noch übleren Gesellen anzudienen; u. a. übersetzt er den SS-nahen Julius Evola und Himmlers Hausokkultisten Karl Maria Willigut (alias Weisthor), zwei willfährige Ideologen, die sich mit einem Amalgam aus Okkultismus, Rassenlehre und Sozialdarwinismus den Faschisten in Italien und Deutschland als Nebelwerfer andienten. Die Liste von Moynihans Kontakten zu eindeutig rechtsradikalen Personen ist lang - unter www.oracle syndicate.org liefert der Artikel "How Black is Black Metal?" von Kevin Googan einen Überblick. Moynihan behauptete mehrfach, er wäre weder Nazi noch Faschist oder Rassist. "Ich sehe nicht, dass weiße Menschen heutzutage irgendetwas Wertvolles machen oder etwas Edles, Unterstützungswürdiges", erklärte er dem Onlinemagazin Mumblage.com: "In den meisten Fällen finde ich das Verhalten weißer Menschen absolut strafenswert." Was alles und nichts sagt.

Von den politischen Ansichten des Herrn Moynihan distanziere ich mich. An der Bewertung von „Lords of Chaos“ ändert dies jedoch nichts. Schließlich habe ich das Buch rezensiert, und nicht den Autor.

Volkmar Kuhnle

 

 

 

       

 

 

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