Homo Magi - Teambeitrag

Der Enkel der neunhundert Großmütter

Zum Tode von R.A. Lafferty

Der amerikanische SF- und Fantasy-Autor Raphael Aloysius Lafferty wurde 1914 in der kleinen Stadt Neola/Iowa (USA) geboren. Im Alter von sechs Jahren zog er zusammen mit seiner Familie nach Tulsa/Oklahoma, wo er den größten Teil seines Lebens verbrachte. Lafferty war von Beruf Elektroingenieur und hatte wenig Freizeit, daher begann er erst sehr spät (im Alter von 45 Jahren) zu schreiben. Seine erste Story, „The Day of the Glacier“ erschien 1960 in Original Science Fiction Stories. Lafferty wird der amerikanischen “New Wave of Science Fiction” zugeordnet, deren bekannteste Vertreter Samuel R. Delany und Roger Zelazny sind.

Lafferty erregte viel Aufsehen durch seine ersten Romane Past Master, Reefs of Earth und Space Chantey, die alle im Jahre 1968 innerhalb weniger Monate erschienen. Space Chantey, eine Nacherzählung von Homers Odyssee im Gewand der Space Opera, ist wohl Laffertys bekanntester Roman. Hier lässt sich bereits ein Bezug zur Fantasy erkennen. Lafferty schrieb jedoch auch reine Fantasy-Romane wie etwa The Devil is Dead, East of Laughter, Half a Sky und Serpent’s Egg. The Devil is Dead gehört zum sogenannten „Argo-Mythos“, einem Zyklus von mehreren Romanen und Stories, die zum Großteil in den Bereich der SF fallen.

Der Schwerpunkt von Laffertys Werk liegt jedoch nicht in seinen Romanen, sondern in seinen circa 200 Kurzgeschichten. Einige dieser Kurzgeschichten liegen inzwischen in Anthologien vor. Von diesen Anthologien dürfte Nine Hundred Grandmothers von 1970 (deutsch: Neunhundert Großmütter) die bekannteste sein (daher auch der Titel dieses Nachrufs). In diesen Geschichten, mehr noch als in seinen Romanen, offenbaren sich Laffertys wahre Qualitäten: ein oftmals skurriler Humor gepaart mit bizarren Themen und einem lyrischen Prosastil. Die meisten dieser Kurzgeschichten sind im Grenzbereich zwischen Science Fiction und Fantasy angesiedelt.

Eine seiner Stories, Eurema’s Dam, errang 1972 den „Hugo Award“. Achtzehn Jahre später, 1990, erhielt Lafferty den „World Fantasy Lifetime Achievement Award“ für sein Lebenswerk.

In einem Interview bezeichnete sich R.A. Lafferty als „römisch-katholisch und konservativ, politisch unabhängig, und meine Interessen liegen auf dem Gebiet der Geschichte, der Sprachen, der Mathematik, der Psychologie, alles Sachen, von denen ich nicht viel verstehe.“ Laffertys Katholizismus spiegelt sich auch in einem Teil seiner Werke wieder, etwa in Serpent’s Egg.

Ich habe im Laufe meines bisherigen Lebens etliche Kurzgeschichten gelesen. Nur wenige dieser Stories sind mir im Gedächtnis geblieben. Eine dieser Geschichten ist von R.A. Lafferty. Thus we frustrate Charlemagne (deutsch: So frustrieren wir Karl den Großen), u.a. Nine Hundred Grandmothers enthalten. In dieser Geschichte geht es um „Epikt, die Ktistec-Maschine“, mit der man historische Ereignisse nachträglich verändern kann. Ein Forscherteam greift damit mehrmals in die Vergangenheit ein, um festzustellen, was sich ändert. Leider können die Forscher keinerlei Änderung entdecken, weil die Änderungen in dem Moment, wo sie vorgenommen werden, bereits Geschichte sind. Das Ende: Das „Forscherteam“ sitzt in einer Steinzeithöhle, während Epikt zu einem Holzgestell mutiert – und sie sehen immer noch keine Änderung. Diese Story zeigt Laffertys Humor „at ist best“. Sollte ich jemals eine Top Ten der besten fantastischen Stories aufstellen, so gehört diese Geschichte sicherlich dazu.

Nach einem schweren Herzanfall im Jahre 1994 stellte R.A. Lafferty das Schreiben ein. Am 18. März 2002 starb er in einem Hospital.

Mit R.A. Lafferty verlässt uns einer der originellsten Fantasy- und SF-Autoren des 20. Jahrhunderts, ein wahrer Meister der Kurzgeschichte. Alfred Bester sagte über ihn: „Er hat Stories geschrieben, um die ich ihn beneide. Ich wollte, ich könnte solche Geschichten schreiben“. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Volkmar Kuhnle März 2002

Dieser Nachruf ist ein Vorabdruck aus Magira 2002.

Links zu R.A. Lafferty (englisch):

R.A. Lafferty Devotional Page
R.A. Lafferty Bibliographie

 

 

       

 

 

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